Sprach- und Sprechstörungen bei Kindern

Sprachentwicklungsverzögerung / Sprachentwicklungsstörung

Darunter versteht man zeitliche und/oder strukturelle Abweichungen von der normalen Sprachentwicklung. Es handelt sich hierbei um einen Sammelbegriff, der das gemeinsame oder auch einzelne Auftreten der folgenden Störungen bezeichnet. Der Störungsgrad kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann.

Verspäteter Sprechbeginn
Liegt vor, wenn ein Kind im Alter von 2 Jahren weniger als 50 Worte aktiv spricht und noch nicht beginnt 2 Worte miteinander zu kombinieren wie z.B. „Papa Auto“. Meist verwenden diese Kinder über längere Zeit einige wenige Worte, oft auch Lautmalereien oder auch ganz eigene Worte, die nur von den engsten Bezugspersonen verstanden werden. Ihre Absichten, Wünsche und Bedürfnisse teilen sie den Anderen durch Mimik und Gestik mit.
Nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung zum kindlichen Spracherwerb besteht bei diesen Kindern ein hohes Risiko zur Ausbildung einer Sprachentwicklungsstörung. Man bezeichnet diese Kinder als „Late Talker“.

Störungen der Grammatik / Dysgrammatismus
Der korrekte Satzbau ist gestört, es kommt zu Umstellungen und Auslassungen von Satzelementen z. B.: „Anton Tina Blume schenkt“ statt „Anton schenkt Tina eine Blume“ oder das Kind hat Probleme beim Erwerb des grammatischen Regelsystems. Dabei können z.B. die Konjugation und Deklination, die Zuordnung der Artikel und die Verwendung von Präpositionen betroffen sein. Beispielsweise „Ich habe das Schokolade geesst“ satt „ich habe die Schokolade gegessen“

Wortschatzdefizite
Hier fällt auf, dass der altersgerechte Wortschatz des Kindes stark reduziert ist. Es bestehen qualitative und/oder quantitative Probleme beim Erwerb des Wortschatzes. Es treten Wortabruf- und Wortspeicherstörungen auf. Das Kind sucht nach Worten.

Störung des Sprachverständnisses
Die Bedeutung von Wörtern oder Sätzen wird, obwohl das Gehör intakt ist, nicht verstanden. Das Kind erschließt sich die Bedeutung der Worte und Sätze teilweise nur aus dem situativen Zusammenhang. Es hat Schwierigkeiten, komplexe sprachliche Informationen zu verstehen, z.B. beim Vorlesen einer Geschichte.

Störung des Lautsystems
Das Kind hat Probleme beim Erwerb des Lautinventars, d.h. es erwirbt die Laute oder die Regeln zu ihrer Kombination fehlerhaft oder unvollständig. Es spricht Wörter fehlerhaft aus (z.B. Nane statt Banane, Bjume statt Blume, Tinderdarten statt Kindergarten). Oftmals wird es von Außenstehenden nicht verstanden.

Aussprachestörungen / Artikulationsstörungen / Dyslalie

Bei der Aussprachstörung ist die motorische Lautbildung betroffen. Das Kind bildet Laute falsch (z.B. beim Sigmatismus/Lispeln) oder es bildet bestimmte Laute nicht und ersetzt sie durch andere (z.B. Saf statt Schaf oder Fis statt Fisch). Häufig bestehen hier auch Defizite im Bereich der Mundmotorik.

Myofunktionelle Störungen / Mundmotorik

Es bestehen Einschränkungen im Bereich der Mundmotorik. Die Beweglichkeit und Koordinationsfähigkeit der Lippen und der Zunge sind eingeschränkt. Das Kind hat z.B. den Mund ständig offen, die Zunge liegt in Ruhe und beim Schlucken zwischen den Zähnen und es besteht häufig ein Sigmatismus. Die myofunktionelle Therapie wird häufig auch im Rahmen einer kieferorthopädischen oder zahnärztlichen Behandlung durchgeführt und kann auch bei Artikulationsstörungen notwendig werden.

Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS)

Man spricht von auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen, wenn bei intaktem peripherem Hören (Mittel- und Innenohr sind intakt) die Wahrnehmung und Verarbeitung von Höreindrücken nicht funktioniert.
Diese Störung kann sich in den verschiedenen Teilfunktionsbereichen in unterschiedlicher Ausprägung zeigen.
So kann u. a. das Verstehen von Sprache im Umgebungslärm, die Merkfähigkeit für Höreindrücke oder die Fähigkeit, einzelne Sprachlaute erkennen zu können, beeinträchtigt sein.
Als mögliche Ursachen können frühkindliche Hirnschädigungen, Entwicklungsstörungen oder chronische Mittelohrentzündungen zu Grunde liegen. Die beeinträchtigten Teilfunktionen werden über gezielte Hörübungen gefördert.

Lese- und Rechtschreibstörungen (LRS) / Legasthenie

Beide Begriffe bezeichnen eine Problematik im Lese- und / oder Schreiberwerb. Die Legasthenie ist eine genetisch bedingte Störung, die LRS wird als erworbene Störung beschrieben. Die beiden Begriffe werden in Deutschland zumeist synonym verwendet.
Kennzeichnend sind ausgeprägte Schwierigkeiten beim Lese- und / oder Schreiberwerb.
Ursachen können vielfältig sein: genetische Veranlagung, Defizite in der phonologischen Bewusstheit (die Fähigkeit, die lautliche Struktur von Wörtern zu erkennen und diese korrekt umzusetzen), visuelle und / oder auditive Wahrnehmungsdefizite, um nur einige zu nennen.

Beim Lesen können Worte, Wortteile oder Buchstaben ausgelassen, ersetzt, verdreht oder hinzugefügt werden. Die Lesegeschwindigkeit ist verlangsamt und stockend und das Lesesinnverständnis ist eingeschränkt.
Beim Schreiben werden Buchstaben verdreht, ausgelassen oder falsche Buchstaben eingefügt. Es treten Fehler in der Groß- und Kleinschreibung auf sowie Regelfehler wie z.B. fehlende Konsonantenverdopplung.

Was ist zu tun?

Wenn Sie bei Ihrem Kind Probleme beim Lesen und Rechtschreiben beobachten können, ist der erste Schritt ein Gespräch mit dem Klassenlehrer.

Eine zuverlässige Feststellung einer LRS ist erst zum Ende der 2. Klasse möglich. Die ausführliche Diagnostik findet dann bei dem zuständigen Schulpsychologen oder bei einem Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder im Sozialpädiatrischen Zentrum statt. Wird dort eine Lese- und Rechtschreibstörung festgestellt ist eine Therapie anzuraten. Da es sich bei der LRS per Definition nicht um eine Krankheit handelt, übernehmen die Krankenkassen keine Behandlungskosten. Die Therapiekosten werden in der Regel von den Eltern selbst getragen oder die Kostenübernahme wird beim Jugendamt beantragt.
In der Therapie wird u. a. an einer Verbesserung der phonologischen Bewusstheit gearbeitet und die Wahrnehmungsdefizite werden ausgeglichen. Gezieltes Lese-, Schreib- und Rechtschreibtraining sollte daher zu deutlich verbesserten schulischen Leistungen führen.

Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKG)

LKG-Spalten sind Fehlbildungen des Gesichts- und Kieferbereichs, deren Entstehung noch nicht endgültig geklärt ist. Der Ort der Fehlbildung (Mund- und Nasenraum) und dessen Nähe zu Ohr und Kehlkopf können sich auf die Sprachentwicklung des Kindes nachteilig auswirken. Im interdisziplinären Team (zusammen mit Kieferchirurg, HNO-Arzt, Kieferorthopäde) muss die Behandlung frühzeitig beginnen. Eine ausführliche Beratung und Begleitung der Eltern ist notwendig. Bereits im Alter von wenigen Monaten sollte das Kind einer Logopädin vorgestellt werden zur Behandlung der evtl. gestörten Trink- und Kaufunktion, Schaffung der muskulären Voraussetzungen für spätere Artikulation. 

Die weitere logopädische Therapie von Kindern mit LKG Spalten beinhaltet die myofunktionelle Therapie (MFT), die Aktivierung der Gaumen-, Schlund- und Kehlkopfmuskulatur zur Reduzierung des Näselns und die Mobilisierung der vorderen Sprechmuskeln. Weitere Behandlungsschritte sind die Flexibilisierung des durch die Operationen fixierten Gewebes, sowie ein Training der Sprechatmung. 

Nasalität (Rhinophonie, Rhinolalie)

Hierbei handelt es sich um eine Störung, bei der die oberen Resonanzräume (Nasenrachenraum und Nasenhöhlen) die Lautbildung pathologisch beeinflussen. Eigentlich handelt es sich bei dieser Störung um eine Veränderung des Stimmklanges, jedoch kommt es im Rahmen dieser Störung auch zu Lautveränderungen und/oder Lautverschiebungen.

Hörstörungen und CI (Cochlea-Implantat)

Ein intaktes Hörvermögen ist unerlässlich für einen ungehinderten Spracherwerb. Schon leichte Hörstörungen können Auffälligkeiten oder Verzögerungen der Sprachentwicklung zur Folge haben. Die Behandlungsschwerpunkte umfassen daher die nachhaltige Verbesserung von Aussprache, Wortschatz und Satzbau, zum anderen die Förderung der auditiven Wahrnehmung und der schriftsprachlichen Fähigkeiten. Ziel der Therapie ist es, eine dem Alter des Kindes entsprechende Sprachkompetenz zu erlangen.

Bei Kindern mit einem Cochlea-Implantat kann eine logopädische Therapie helfen, u.a. das Richtungshören, das Sprachverstehen und ggf. die Aussprache zu verbessern. Je besser das Hören mit dem CI funktioniert, umso weniger ist der CI-Träger auf das Lippen lesen angewiesen und kann somit seine kommunikativen Fähigkeiten erweitern.

Sprachauffälligkeiten bei Zwei-/Mehrsprachigkeit

Es besteht die Tendenz, die Muttersprache mehrsprachiger Kinder in ihrer Entwicklung zu bremsen (z.B. in Kindertagesstätten, Schulen etc.). Dies kann wiederum eine Verzögerung der Zweitsprache zur Folge haben, da die Sprachfähigkeiten der Muttersprache als Grundlage für den Zweitspracherwerb dienen. Die Muttersprache ist demzufolge kein Hindernis für den Deutschlernprozess. Eltern sollten deshalb in der (jeweiligen) Muttersprache mit ihren Kindern sprechen (Prinzip: „Eine Sprache – eine Person“). Das Kind soll lernen, beide Sprachen zu trennen und nicht zu vermischen.